Der Filmemacher Fitz van Thom ist Leipziger, war 1989 zwölf Jahre alt und mittendrin, als in Leipzig tausende Menschen schweigend um den Innenstadtring zogen.
Van Thom: „Die ‚Wir sind das Volk!‘ und ‚Stasi in die Produktion!‘ Rufe kamen erst später- am Anfang waren es die Friedensgebete, aus denen Schweigemärsche hervorgingen- bewusst auf Losungen verzichtend. Das war wahre Power! Mein Festplattenrecorder im Hirn hat schon damals treffliche Dienste geleistet und mir viele Bilder in die Rinde gelasert, die ich nie mehr vergessen werde. Ein paar hundert Menschen, schweigend, aneinander gekuschelt, manche mit Kerzen in der Hand, Jung und Alt- nicht wissend was, aber hoffend, dass etwas Gutes passiert, läuft auf eine Polizeikette zu. Die Polizisten, ebenfalls Arm in Arm, eine Kette bildend, aneinander gekuschelt, wirken nervös- aus dem Leipziger Nebel tauchen hunderte von Menschen auf und kommen mit Bestimmtheit näher.
Zehn Meter vor der Polizeikette verlangsamt sich der Zug. Er verlangsamt sich, kommt aber nicht zum Stillstand, sondern schiebt sich Schritt für Schritt voran.
Die Demonstranten taten nun Verschiedenes- die Einen senkten den Blick und hielten ihre Partner noch fester im Arm, die Anderen nahmen Blickkontakt mit den Beamten auf- u n d genau da lag die Kunst! Dort, an der Front, an der Demarkationslinie zwischen Volk und Staatsmacht, unterschied sich die friedliche Revolution von allen blutigen Revolutionen oder Revolten. Da diese Schweigemärsche von Friedensfreunden- so richtigen Peacern, Hippies und Kirchenleuten- ausgingen, waren da keine vermummten Randalierer und Provokateure, da wurde die Stimmung nicht durch Hooligan-Gebrüll oder Dumpfbackenlosungen aufgeheizt! Man schaute den Beamten, freundlich, bittend, verständnis- und vertrauensvoll in die Augen- das alles, während man sich Dezimeter für Dezimeter schweigend nach vorn schob. Einer der Polizisten hob den Arm und ließ ihn ruckartig sinken. Die Kette öffnete sich, die Polizei trat zur Seite und ließ uns durch! Immer noch schweigend, dafür ungemein euphorisiert und erleichtert gingen die Menschen weiter, einige klopften den Beamten auf die Schultern, auch die Polizisten waren nun erleichtert und manche lächelten sogar. Erst später kam die Erkenntnis: Die hätten auch knüppeln oder sogar schießen können- sämtliche Westmedien und Journalisten waren raus aus der Stadt- uns hätte kein Schwein geholfen!“
Van Thom weiter: „Und da kommt ein Helmut Kohl daher, ein Mann, der schon am Höhepunkt seiner Karriere nicht gerade die hellste Birne im Lampenladen war, dem der Fall der Mauer die Wiederwahl gesichert und der nur davon profitiert hat und lässt diesen Satz hier ab:
„Es ist ganz falsch, so zu tun, als wäre da plötzlich der
heilige Geist über die Plätze in Leipzig gekommen und
hat die Welt verändert – Gorbatschow ging über die Bücher
und musste erkennen, dass er am Arsch des Propheten
war und das Regime nicht halten konnte!“ Helmut Kohl
Meine Antwort kurz und knapp:
Hör mal, Du alter pfälzischer Saumagen, Gorbi hat uns in
jener Zeit tatsächlich die Hoffnung gegeben, dass es keinen
zweiten 17. Juni gibt- aber die da „über die Plätze gegangen“
und ihren Arsch riskiert haben, waren wir- Leipziger Bürger!
Und wer dann „über die Bücher ging“ und wem die Einheit in
Schoss gefallen ist, das warst Du, Kanzler der Gemeinheit!“
Fitz van Thom