Filmdreh in Russland: Das alte Gewehr

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Ein Erfahrungsbericht von Fitz van Thom
Zum ersten Mal ein Dreh in Russland. Zweiter Weltkrieg und Aufgabe war  die ‚Eroberung von Lebensraum im Osten‘, sprich, Städte und Dörfer für nachkommende Deutsche „freizumachen“.
Das Filmthema wäre in Deutschland schon schwierig genug gewesen, aber gerade in jenem Land zu drehen, welches „wir“ damals angegriffen, gedemütigt, in dem „wir“ gemordet und geschändet haben, hatte noch einmal eine besondere Härte.

Julian Mau, Bastian Sierich, Joshua Grothe (v.l.) | A.Evsikova
Julian Mau, Bastian Sierich, Joshua Grothe (v.l.) | FOTO: Anna Evsikova

Ein paar hundert Kilometer von Sankt Petersburg entfernt, lag unsere erste Location- im sogenannten „Kinodorf“. Ein, an einem idyllischen See gelegenes, etwa zweihundert Jahre altes, gut erhaltenes Dorf mit Holzhäusern und einer schlammigen Straße erwartete den Einmarsch der Deutschen.

Thure Riefenstein, Fitz van Thom (v.l.) | FOTO: Anna Evsikova
Thure Riefenstein, Fitz van Thom & Team (v.l.) | FOTO: Anna Evsikova

Da standen wir nun in unseren schnittigen SS-Uniformen und unter den Komparsen, deren Hinrichtung nun unsere Aufgabe war- heute, wie damals- waren auch Ältere, die genau solche Situationen als Kind miterlebt hatten. Kein Zweifel, bei den Alten waren die Schreie und Tränen echt, während meine Einheit sie Richtung See hinuntertrieb.

Bei der Erschießung der Dorfbewohner rannen bei vielen, die nicht im Bild waren die Tränen. Härtester Drehtag.
Bei der Erschießung der Dorfbewohner rannen bei vielen, die nicht im Bild waren die Tränen. Härtester Drehtag. | FOTO: E. Arkhangel’skiy

Die Aufregung steckte natürlich auch die Kinder an. Wir haben uns mit vielen Menschen unterhalten und es wurde uns ganz schnell klar, dass die Meisten durchaus zwischen früher und heute differenzieren können, dennoch fielen sie leicht in das Gefühl von damals zurück. Uns dämmerte, dass wir das Ganze hier nur überstehen würden, wenn wir die Arbeit sehr, sehr ernst nahmen und dafür in den Drehpausen absolut albern und lustig waren- einfach, um den Druck rauszulassen. Mit letzterem hatten wir keinerlei Probleme, wir waren- Gott sei Dank- der beste albernste Haufen, den man sich vorstellen kann. Dennoch kamen einigen von uns tatsächlich, als die Frauen und Kinder weinten und schrien, wenn wir sie nach dem „Action!“ unserer zweiten Regisseurin Rada mies behandelten, selber die Tränen.

Komparsen und Umgebung waren sehr authentisch.
Michej am Dorfbrunnen | FOTO: Anna Evsikova

Nach einigen Stunden fragten wir, völlig fertig, ob es denn jetzt mal genug wäre- es war einfach nicht mehr zu ertragen, das Weinen der Kinder, in einer Mischung aus echtem und gespieltem Heulen, ging wirklich an die Substanz. Wie schon gesagt, in den Drehpausen alberten wir mit den Kindern und Alten herum, was ihnen und uns auch wirklich gut tat. Insbesondere Julian, der einen absoluten Sadisten spielte, hatte schwer zu tun, dass sich die Kinder nicht vor Angst in die Hose machten, wenn sie ihn ansahen. Als ich mit einem Mädchen kasperte, fragte es seinen Opa: „Was reden die für eine Sprache?“ – „Nun, Dewuschka (Mädchen), das ist deutsch.“ – „Sind das etwa echte Deutsche?!“ – „Ja, mein Kind!“ – „Aaaaaaaaaaaah!“ Für die nächsten paar Stunden habe ich das Mädchen dann nicht mehr gesehen… Sie versteckte sich immer, wenn ich auftauchte. Anfangs war es echte Angst- ich kann mir vorstellen, was Kindern- insbesondere in ländlichen Gegenden- über Deutsche erzählt wird, aber dann warf ich die Desensibilisierungsmaschine an: Ich jagte sie.

Sie traute sich sogar für ihren Opa ein Foto mit mir machen zu lassen. | FOTO: Opa
Sie traute sich sogar für ihren Opa ein Foto mit mir machen zu lassen. | FOTO: Opa

Immer, wenn ich sie gefangen hatte, was gar nicht so einfach war- der kleine Dachs war sehr schnell und gewieft, schlug Haken und trickste mich in meiner sperrigen Uniform oft aus, packte ich sie und tat völlig over-acted und slapstickmäßig so, als würde ich sie fressen. Nach der zweiten Mahlzeit hatte sie es begriffen und ihre Angst wich dem Spaß über dieses lustige Fang-mich-friss-mich-Spiel. Am Ende war sie sogar ausgesprochen frech und warf mir Schneebälle an den Kopf. Trotzdem waren wir alle froh, als dieser schwierige Drehtag zu Ende war. Von der Kälte habe ich noch gar nichts erzählt. Es war kalt. Kaaaalt. Heißt übrigens auf russisch „cholodna“.

reihe mit cheffe
In the army now. | FOTO: Anna Evsikova

Die Nächte verbrachten wir in einem Dorf inmitten der Wildnis- wir sahen Wölfe, aßen Bärenfleisch und fühlten uns mindestens wie Scott und Amundsen. Wir waren in Bungalows untergebracht und der Strom fiel einige Male aus- einen schöneren Sternenhimmel habe ich selten gesehen. Wir deutschen Jungs- Joshua, Julian, Bastian, Thure und ich verstanden uns übrigens von der ersten Minute an. Vielleicht haben uns die extremen Situationen zusammengeschweißt – schon der Hinflug in einer russischen Maschine war eine dieser Situationen (heißt übrigens auf russisch „Situazie“) – vielleicht ticken wir auch nur zufällig gleich- jedenfalls stellte sich bereits am ersten Tag das Bruder-Gefühl ein. Man wartete oft auf die anderen, auch wenn man selbst schon drehfrei hatte, ging zusammen essen und trinken- meistens trinken. Joshua war unser Joker- er bekam jeden zum Lachen und dort, wo er nicht weiterkam, hakten wir anderen nach- entweder machte ich einen Papa-Witz oder Bastian einen Synchronsprecherspruch oder Julian sang einfach ein komplettes Musical. Aus der Einöde zurück in Petersburg hatte Joshua gleich zu Anfang ein recht gutes französisches Restaurant aufgetan, das Jean Jaque. Es lag innerhalb Joshs 500 Meter Radius  am Bolshoi Prospekt- und es hatte 24 Stunden geöffnet. Dort bekam man nicht nur nette Gesellschaft, sondern auch gutes belgisches Bier und ein Essen, welches man nicht mehr nachwürzen musste. Sorry, russische Küche- es gibt Gewürze und Salz, warum benutzt du sowas denn nicht? Und ja, einen Veganer haben wir auch in unserer Mannschaft- da kommst du gar nicht drauf klar, russische Küche, oder? Bastian hat wohl einige Kilo verloren, weil es- insbesondere auf dem Dorf- für die Leute unbegreiflich ist, wie jemand komplett auf tierische Produkte verzichten kann. Es war ein täglicher Kampf, geführt mit Erklärungen aus dem Google-Translator  und Bildern aus dem Internet. Basti hat überlebt.

Das Jean-Jaque haben die Deutschen dann auch übernommen. | FOTO: FvT

Das Jean Jaque jedenfalls wurde schnell zu unserem Stammlokal, auch wenn ich mich anfangs sträubte, mich derart festzulegen- die Stadt war ja so riesig und wir hatten gerade mal einen Bruchteil davon gesehen. Sankt Petersburg ist eine wirklich schöne und große Stadt, aber die vielen Paläste, Schlösser und Kathedralen verschaffen einem nach einiger Zeit auch eine architektonische Überdosis und man merkt schnell, dass man hier Jahre brauchen würde, um alles zu erfassen. Italienische Architekten, deutsche Ingenieure und viele andere europäische Spezialisten arbeiteten an der Bebauung, deswegen gilt Petersburg als die europäischste Stadt Russlands. Der Reichtum, den Katharina die Große und all die anderen Zaren angehäuft haben, ist unermesslich.

Zuckerbäckerei
Zuckerbäckerei | FOTO: F. v. Thom
Und das ist nur eine Tür.
Und das ist nur eine Tür. | FOTO: FvT

Zu beschreiben, wieviele Säulen, Rubensgemälde, Goldstatuen, Vasen und Uhren allein in der Ermitage herumstehen ist müßig- es sind sehr, sehr viele. Die Menschen des Landes machten anfangs einen sehr mürrischen oder schüchternen Eindruck. Ich hatte mir fest vorgenommen, jedem am Filmset täglich die Hand zu geben und freundlich zu begrüßen, was viele am Anfang sehr befremdlich fanden. Die ganze Sache durchzuziehen kostete eine Menge Kraft. Ich hörte von meinen Kollegen: „Alter, sind die hier so depri, weil nie die Sonne scheint und die nur zwei Stunden Tageslicht haben oder was ist mit denen los?!“ Nach ein paar Tagen jedoch tauten sie auf. Sie freuten sich, wenn wir Deutschen ans Set kamen und umarmten und drückten uns und hätten uns jeden Wunsch erfüllt. Karma. Funktioniert. Ich denke, wir haben wirklich einen Haufen neuer Freunde gefunden, auf die wir uns verlassen könnten, wenn wir wieder hinfahren würden.

In the movie now. Mit Kirill Bellevich. | FOTO: Anna Evsikova
In the movie now. Mit Kirill Bellevich & Mikhail Milashin (Die Rotjacken v. l.)  | FOTO: Anna Evsikova

Die Arbeit war spannend, gefährlich und manchmal unvorhersehbar- sagen wir so; der Regisseur Kirill Bellevich mochte Überaschungen… Um echte Emotionen zeigen zu können, erzählte er uns einfach nicht alles oder verbot unserem Super-Dolmetscher Jevgeni gar, zu übersetzen,  was jetzt gleich passieren würde. Dennoch hatten wir vollstes Vertrauen zu ihm und ließen uns gern auf seine Spielchen ein. Wir sind um einige Erfahrungen reicher geworden, haben unseren Freundeskreis erweitert und hatten eine Menge Spaß, obwohl wir lange von unseren Lieben getrennt waren und sogar den Heiligabend im Jean Jaque verbrachten… Der vierteilige Fernsehfilm „Das alte Gewehr“ startet am 9. Mai, dem Nationalfeiertag der Russen, auf dem ersten Kanal und erwartet über 60 Millionen Zuschauer. Ich bin froh und stolz ein Teil dieses Projektes gewesen zu sein.                     FvT

„Я не люблю играть роли нацистских, но если я могу привлечь внимание людей, чтобы они ценят мир снова и презирать войну, то я играю сотни фашистов.

Я готов!“                                                                                                              Фитц ван Том

„ich spiele Nazis wirklich ungern, aber wenn es hilft, die Erinnerung an die Schrecken des Krieges wachzuhalten, mache ich noch 100 Kriegsfilme!“                                                           Fitz van Thom

Die beste Mannschaft, die man sich vorstellen kann. Die Schnullis. Code: Beutel
Die beste Mannschaft, die man sich vorstellen kann. Die Schnullis. Code: Beutel        | FOTO: Lika Leonidze

„The old gun“ („Старое ружьё“) TV-Movie, 2014 Mars Media Production for Russia Channel One / R: Kirill Bellevich / P: Olga Kashirina, Michael Kitaev / D: Irina Pegowa, Timofey Tribuncev, Thure Riefenstein, Fitz van Thom, Joshua Grothe, Julian Mau, Bastian Sierich u.v.a.

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